Auf Anfrage hin schreibe ich mal eine kurze Abhandlung, die die Kirche des 12. Jahrhunderts ein wenig erklärt. Die heutige Kirche ist schon komplex genug, und selbst sie unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der des 12. Jahrhunderts!
Hintergrund & Kirchenpolitik
Gehen wir 200 Jahre zurück. Im 10. Jahrhundert ging es in der Kirche ziemlich übel zu. Es war voll mit lauter schwachen Päpsten, die sich von weltlichen Herrschern, vom Pöbel und zeitweise sogar von den päpstlichen Konkubinen rumschubsen ließen. Diese Zeit wird oft als Tiefstpunkt der Kirche angesehen.
In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts besserte sich die Lage. Fähige Päpste stärkten die politische Position des Papstes und begannen einige Reformen.
Dummerweise brach in dieser Zeit auch die katholische mit der orthodoxen Kirche. Das geschah aus einer Anzahl von komplexen theologischen und politischen Gründen im Jahr 1054. Dieser Vorfall wird als das große Schisma bezeichnet.
Was Reformen anging, trat in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Gregor VII (bekannt dadurch, dass er Kaiser Heinrich IV zum Canossagang zwang) ordentlich aufs Gas. Er verabschiedete eine Haufen von Reformen und Anordnungen, um die Kirche zu stärken, die Disziplin innerhalb des Klerus zu verbessern und seine Unabhängigkeit von weltlichen Herrschern anzuvisieren. Aus dieser Zeit kommen Konzepte wie das Zölibat, die zentrale Position des Papstes im Katholizismus (vorher war er viel eher Erster unter Gleichen) und die Idee, dass weltliche Könige keine Bischöfe ernennen sollten.
Diese Reformen hatten zur Folge, dass die katholische Kirche immer weiter von der konservativeren (und dadurch paradoxerweise oft liberaleren) orthodoxen Kirche wegdriftete – mehr zu ihr im Kapitel zu den einheimischen Kirchen unten.
Der Nachfolger von Gregor VII, Urban II, innovierte noch weiter – er erfand die Kreuzzüge, mit dem Ergebnis, dass das Königreich Jerusalem geboren wurde. Und unserer Zeit hat das Voranpeitschen von Reformen noch immer kein Ende gefunden.
Der Klerus im Königreich Jerusalem stand somit stets einem schwierigen Balanceakt gegenüber. Auf der einen Seite wollte Rom, dass man mit dem raschen Reformtempo, das die Päpste vorgaben, Schritt hielt. Auf der anderen Seite wollte man die einheimischen Christen – aber wenig von diesen Reformen hielten – nicht vor den Kopf stoßen; schließlich war die Intention, sie in die katholische Kirche einzubinden. Und das war umso schwerer, je mehr sich die katholische Kirche von der orthodoxen wegbewegte.
Wenn man einen Charakter in der Kirche hat, kann jener (wenn er politisch ist) daher zum Beispiel folgende Positionen vertreten:
- Ein Reformierer, der die Regeln weiterhin anziehen und strikt festlegen möchte, egal was die in seinen Augen religiös rückständigen Syrer davon halten
- Ein Konservativer, der um den Ausgleich mit der orthodoxen Gemeinde bemüht ist und findet, dass der Reformationswahn Roms überhand genommen hat
- Ein Vermittler, der versucht, es beiden Seiten so recht wie möglich zu machen – oder der sich die Rosinen aus beiden Positionen heraussucht
Weltgeistlichkeit vs Ordensgeistlichkeit
Es gibt zwei Sparten der Kirche, die Weltgeistlichkeit und die Ordensgeistlichkeit.
Weltgeistlichkeit
Die Weltgeistlichkeit sind Geistliche mit seelsorgerischen Aufgaben – das sind die Geistlichen, die man in den Pfarrkirchen und Kathedralen sehen kann. Im 12. Jahrhundert gab es drei grundsätzliche Weihen, die ein Weltgeistlicher durchlaufen konnte.
Diese Weihegrade waren:
- Diakon – ein Priesterassistent. Ähnlich wie ein Lehrling bei einem Handwerker, der einem Priester (manchmal auch einem Bischof oder einer Gruppe von Priestern) beigestellt wird und den Priester in einigen Sachen unterstützen oder stellvertreten kann.
- Priester – diese Weihe war Bedingung für eine Reihe von Jobs in der Kirche wie zb Pfarrer, Diakon, Kanoniker, Kaplan usw. Ein Priester ist dazu qualifiziert, alle Sakramente (bis auf die Weihe) zu erteilen, zu predigen, Segnungen zu machen usw.
- Bischof – die höchste Weihe. Ein Bischof konnte alles tun, was ein Priester konnte, und er konnte auch die Weihe zum Diakon und zum Priester erteilen. Ein Bischof hatte üblicherweise eine Diözese in der er allen anderen Geistlichen vorstand.
Zusätzlich gab es auch mindere Ämter, die man inne halten kann bevor man Diakon wird, wie den Akolyten (was heute in etwa einem Ministrant entspricht), aber das wird nicht üblicherweise wirklich zum 1. Stand gezählt.
Die katholische Weltgeistlichkeit stand nur Männern offen – aber in den einheimischen Kirchen (siehe unten) konnten Frauen Diakonissen, dh weibliche Diakone, werden.
Ordensgeistlichkeit
Die Ordensgeistlichkeit sind Geistliche, die einem religiösen Orden angehören und daher einen Schwur auf eine Ordensregel abgelegt haben (diesen Schwur nennt man das Ordengelübde). Man muss keine Weihe bekommen haben, um Ordensgeistlicher zu werden. Aufgaben von Ordensgeistlichen unterschied sich nach Orden und nach Rang innerhalb des Ordens.
Es war absolut möglich, ein Mitglied der Ordensgeistlichkeit zu sein und trotzdem Weihen empfangen zu haben. Jedes Kloster brauchte beispielsweise einen Propst – einen Ordenspriester, der den Mönchen/Nonnen die Sakramente erteilte und die Messe zelebrierte. Auch die Johanniter und die Templer haben Priester, die ihren Ordensgenossen Seelsorge zukommen lassen. Und es gab auch die Regularkanoniker, siehe unten.
Die Ordensgeistlichkeit ist ein weit gefächertes Spektrum und umfasste unter anderem:
- Klöster: Hier verbringen Mönche und Nonnen ihre Zeit beim Beten und Arbeiten. Das Gelübde kann man nur ablegen, wenn man vorher einige Zeit lang als Novize gedient hat. Im 12. Jahrhundert kann man die meisten Klöster in eine von zwei Gruppen unterscheiden:
- Benediktiner – ein hierarchisch organisiertes Netzwerk an Klöstern, die dem Erzabt von Monte Cassino unterstehen und sich an die Regeln des St Benedikt halten
- Augustiner – voneinander unabhängige Klöster und klösterliche Gemeinschaften, die sich an die Regeln des St Augustin halten (die etwas strikter sind als die Regeln des St Benedikt)
- Ritterorden: eine neue Art von Orden die im Zuge der Kreuzzüge entstand. Bei uns sind die Templer und Johanniter bespielt. Die Ordensmitglieder darin haben, anders als die Klosterbewohner, nicht die Aufgabe, fernab von der Realität der Welt zu beten, sondern sich für Kranke einzusetzen, Pilger zu verteidigen und Ungläubige zu vernichten
- Eremiten: Eremiten waren Leute, die bei ihrem Bischof einen Eremitenschwur gemacht haben. Das bedeutete, dass sie sich von der Welt zurückzogen, um abseits von der Zivilisation (zum Beispiel in den Bergen, einer Wüste oder auch einer abgelegenen Behausung oder Höhle) alleine als Einsiedler zu leben, um sich auf die Zwiesprache mit Gott zu konzentrieren. Es gab auch spezifische Eremitenorden.
- Regularkanoniker: das waren Gruppen von Priestern, die sich zu einem Kollegium zusammenschlossen, ein Gelübde auf die Regeln des St Augustin ablegten, und sich gemeinschaftlich zusammen um eine Kirche oder eine Kathedrale kümmerten. Sie erteilten Seelsorge wie in der Weltgeistlichkeit, lebten aber in einer klösterlichen Gemeinschaft.
Kirchliche Hierarchie
An der Spitze der Kirche steht der Papst; ihm zu Seite stehen die Kardinäle, die ihn wählen (im Mittelalter waren das selten mehr als 20 Leute).
Dem Papst unterstehen sowohl Welt- wie auch Ordensgeistlichkeit.
Direkt unter ihm stehen, auf der einen Seite, die Oberhäupte der Orden. Das waren beispielsweise der Meister der Johanniter und der Großmeister der Templer. Im Fall der Benediktiner war das Ordensoberhaupt der Erzabt von Monte Cassino, welcher der Chef der Äbtissin von St Anna ist.
Auf der anderen Seite war er der ultimative Chef aller Bischöfe. Bei Bischöfen gab es drei Ränge:
- Ein (einfacher) Bischof war das Oberhaupt einer Diözese, wo er Chef aller dortigen Priester und Diakone war.
- Ein Erzbischof war ein Oberbischof, dem sowohl seine eigene Diözese wie auch eine Gruppe von anderen Bischöfen unterstand. Den Wirkungsbereich eines Erzbischofs samt der ihm unterstehenden Bischöfen nennt man Kirchenprovinz.
- Patriarchen gab es im 12. Jahrhundert in der katholischen Kirche (abgesehen vom Papst) nur 2 – der von Jerusalem und der von Antiochia. Dem Patriarchen von Jerusalem unterstand die gesamte Kirche im Königreich Jerusalem (und auch die Diözese von Jerusalem an sich).
Ein Beispiel ist der Bischof von Tiberias. Er untersteht dem Erzbischof von Nazareth. Dessen Chef ist der Patriarch von Jerusalem – und über diesen rangiert nur noch der Papst.
Wie wird man Geistlicher?
In den Klerus konnte nicht jeder einfach so reinspazieren. Die Klöster waren oft wählerisch darin, Kandidaten als Novizen zu akzeptieren, und zum Diakon und Priester geweiht werden konnte man nur durch Bischöfe – die wenig Lust darauf hatten, jeden dahergelaufenen Niemand in die Kirche zu lassen, denn der Klerus betrachtete sich aus ausgesuchte Elite. Selbst die Ritterorden, die jeden Kämpfer benötigten, erlaubten nicht jedem, einfach so Ordensritter zu werden.
Geistlicher konnte man zum Beispiel in folgenden Szenarien werden:
- Du kommst aus einer respektablen Familie, die ihren Einfluss beim Bischof oder beim Kloster geltend gemacht hat, damit die die Tür geöffnet wirst
- Du hast eine spezielle Bildung/Befähigung, die dir den Weg in die Kirche ebnet, zb eine Ausbildung an einer Domschule oder Universität, oder im Fall der Ritterorden Kampferfahrung und Ritterschlag
- Du hast einen der Entscheidungsträger (zb den Abt oder den Bischof) durch einen dramatischen Glaubensakt oder vielleicht auch durch beständige harte Arbeit dazu überzeugt, dich in die Kirche zu holen
Arbeit außerhalb der Kirche
Es gab einige Berufe, die Geistliche außerhalb der Kirche ergreifen konnten.
Ordensgeistliche des 12. Jahrhunderts durften generell nicht außerhalb ihres Ordens arbeiten, es sei denn sie bekamen eine Erlaubnis, oder einen Auftrag, von ihrem Abt dafür.
Für Weltgeistliche, welche keinen strengen Gelübden unterworfen waren, war dies viel einfacher, vor allem wenn sie ihre Priesterweihe hinter sich hatten. Die Nachfrage nach Priestern, die in Burgen, Pfalzen und königlichen Institutionen als Schreiber und gleichzeitig auch Kaplane (dh private Seelsorge) agieren konnten, war groß. Manche Priester kombinierten ein kirchliches Amt, zb den Beruf eines Pfarrers oder eines Vikars, mit einem lukrativen Job in der „Privatwirtschaft“; die meisten aber entschieden sich für das eine oder andere. Man konnte auch recht nahtlos dazwischen wechseln – die Erfahrungen und persönlichen Verknüpfungen, die man zum Beispiel als Kaplan eines fürstlichen Haushaltes gemacht hatte, waren durchaus nützlich für einen Aufstieg in andere kirchliche Ämter.
Bischöfe des 12. Jahrhunderts ergriffen allerdings eher selten einen Beruf außerhalb der Kirche, allenfalls als Kanzler des Königreichs Jerusalem oder einem der Granden.
Die einheimischen Kirchen
Die Kreuzfahrer waren konfrontiert mit der Existenz von einigen einheimischen Kirchen im KJ, deren Beziehung mit der katholischen Kirche ich mal kurz beschreiben werde.
Griechisch-orthodoxe Kirche
Die große Mehrheit aller Syrer im KJ waren griechisch-orthodox; griechisch-orthodoxe Syrer wurden auch als Melkiten bezeichnet.
Die katholische Kirche riss sich bei der Eroberung von Jerusalem die orthodoxe Kirche unter den Nagel. 1099 war das große Schisma (der Bruch zwischen katholischer und orthodoxer Kirche, siehe im Hintergrund) erst 45 Jahre her, und katholisches & orthodoxes Christentum wurde nach wie vor als eine einzige Kirche gesehen, die nur eine kurzzeitige Trennung erlebte (dass das eine endgültige Trennung war, wusste noch keiner). Die katholische Kirche sah das alles also als rechtmäßig ihres an. 1133 würde man wohl ahnen, dass die Kirchenspaltung überdauern würde… aber der katholischen Kirche würde es im Traum nicht einfallen, das Kirchengut einfach so zurückzugeben.
Das bedeutete also, dass die Melkiten im KJ stets einen katholischen Bischof hatten, und manchmal auch einen katholischen Pfarrer, was hiess, dass sie wohl oder übel damit zurechtkommen mussten, dass der Gottesdienst auf Latein war. Der griechisch-orthodoxe Klerus aber war weiterhin im KJ aktiv, insbesondere in den griechischen Klöstern.
Armenische Kirche
Die Armenier bekannten sich lange vor Europa zum Christentum; die armenische Kirche ist also alt und komplett unabhängig von der katholischen Kirche. Das respektierten die Kreuzfahrer – alle Besitztümer der armenischen Kirche wurden in Ruhe gelassen, Armenier konnten weiterhin ungestört ihrer nationalen Spielart des Christentums nachgehen, und es gab auch einen armenischen Bischof von Jerusalem, der im armenischen Kloster lebte.
Syrisch-orthodoxe Kirche
Syrisch-orthodoxe Christen, auch Jakobiten genannt, haben trotz ihres Namens nicht wirklich etwas mit den griechisch-orthodoxen Christentum zu tun; tatsachlich sind die Jakobiten in ihrer Interpretation des Christentums den Armeniern viel näher als den Melkiten. Die Jakobiten wurden ebenfalls in Ruhe gelassen von den Kreuzfahrern; in Jerusalem gab es keinen jakobitischen Bischof, aber es gab eine wichtige jakobitische Kirche im syrischen Viertel. Es gab recht viele Jakobiten in Antiochia und in Edessa, aber im KJ waren sie eine kleine Minderheit.
Das ist jetzt doch ein bisschen länger geworden als beabsichtigt… aber ich hoffe, das beschreibt die Situation ein wenig!