Toleranz

Aus Scriptorium

Toleranz ist ein oft benutztes Wort, welches benutzt wird, um den Modus Vivendi der verschiedenen Kulturen und Gesellschaften sowohl im Königreich Jerusalem wie auch im Fatimidenkalifat zu beschreiben. Dies ist korrekt; allerdings ist diese Beschreibung auch problematisch insofern, als dass Vorstellungen einer bunten, multikulturellen Gesellschaft geweckt werden, mit untereinander sich vermischenden Sprachen und Gebräuchen. Tatsächlich ging die Geschichtsschreibung vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert, unter dem Einfluss kolonialer Gedanken, von einer total integrierten, harmonischen Gesellschaft, in der Christen und Muslime in Frieden und Eintracht miteinander lebten, aus. Dies ist überholt - auch wenn man auf diese Ansicht noch heute trifft, und es gegenseitige Einflüsse gab, so stimmt dies nicht.

Tatsächlich waren die Kreuzfahrer, vor allen Dingen im ersten Jahrhundert nach der Eroberung des Heiligen Landes, bemüht, ihre Kultur, Sprache und vor allem Religion aufrecht zu erhalten. Dies manifestiert sich schon darin, dass im Konzil von Nablus Geschlechtsverkehr mit einer Muslimin untersagt wurde. Auch beklagte sich der muslimische Diplomat Usama ibn Munqidh darüber, dass er in Jerusalem (welches er um 1140 besuchte) keinen einzigen Franken fand, der arabisch sprechen konnte.

Eine kulturelle Vermischung gab es schon deshalb nicht, weil die Franken die erobernde Klasse war und die Einheimischen die Eroberten – die Muslime in der Levante nahmen de facto, auch wenn sie von Rechts wegen nicht versklavt wurden, die Rolle der Leibeigenen in Europa ein – und gar mancher Herr behandelte die Muslime wie zu Hause seine Leibeigenen, ohne dass man ihm das verbieten würde. Man war ihnen gegenüber insofern tolerant, als dass man sie nicht bestrafte für ihre Religionsausübung und ihre Kultur. Allerdings war ihnen die Teilnahme an den Riegen der oberen Kultur des Königreichs Jerusalem versagt. Dementsprechend gering war ihr Einfluss zu Hof - schließlich waren auch europäische Hofstaaten nicht dafür bekannt, Gebräuche des leibeigenen Bauerntums zu assimilieren, wobei dies dort immerhin dieselbe Kultur war.

Die levantinischen Franken aber fühlten sich dennoch nicht ganz wie europäische Franken. Sie sahen sich schnell selber als Einheimische in der Levante, und entwickelten eine eigene Kultur. Die unbestreitbaren östlichen Einflüsse darauf aber kamen vor allem von den Armeniern und den Byzantinern, bei dessen Adel der fränkische Adel sich oft einheiratete.

Manche muslimische Historiker bezeichnen aus diesem Grund die Kreuzfahrerstaaten als Apartheid-Regimes. Dies ist zweifelhaft schon aufgrund dessen, dass damit ein geladenes modernes Wort auf das Mittelalter übertragen wird. Allerdings war auch, insbesondere in den 70ern, bei Historikern der Eindruck vorherrschend, dass die Gesellschaften in der Levante separat waren.

Allerdings stimmt das durchaus nicht. Christen, Muslime und Juden lebten oft Seite an Seite. Christen hatten Muslime als Bedienstete, auch Ärzte und Notare. Auch wenn das Konzil von Nablus den Umgang mit Muslimen einschränkte, waren die darin vorkommenden Rechtsprinzipien beeinflusst von keinem anderen Rechtssystem als die Scharia. Selbstverständlich übernahmen die Kreuzfahrer auch orientalischen Komfort und Luxus – aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass ein gewisser orientalischer Lebensstil, bei dem man auf Diwans saß, dabei exotische Früchte aß und ab und zu auch orientalische Kleidungsteile trug, deutlich erkennbar war. Auch wurden Hygienevorstellungen von den Einheimischen übernommen, da die Franken einsahen, dass Sauberkeit gesundheitliche Vorteile brachte.

Die einheimischen Gruppierungen hatten große Differenzen untereinander und auch mit den Franken. Deren Beziehungen mit den Einheimischen waren komplex und vielseitig – ein Schlagwort wie „Harmonie“ oder „Apartheid“ würde diesen Beziehungen nicht gerecht werden. Gemeinsame Feinde, wie die Türken, einten die Einwohner der Kreuzfahrerstaaten; religiöse Differenzen zogen sie auseinander. Wirtschaftliche Interessen stärkten die gegenseitigen Beziehungen; kulturelle Gegensätze schwächten sie.

Toleranz im Königreich Jerusalem war deshalb nie etwas, an das sich die Kreuzfahrer minutiös hielten – aber gleichzeitig war es auch nie etwas, dessen sie sich entledigten. Dies gebot alleine schon die Staatsräson eines Landes, wo Muslime eine historisch starke Präsenz hatten.

Toleranz im Fatimidenkalifat

Toleranz ist im Islam ein von der Scharia gebotenes Gesetz, was zumindest Christen und Juden angeht. Daher wurden Christen und Juden im Fatimidenkalifat geduldet – sogar mehr als dies; das Fatimidenkalifat war sehr meritokratisch, und oft bekleideten Christen und Juden hohe öffentliche Posten. Obgleich große religiöse Differenzen bestanden, erfüllte das Fatimidenkalifat das Ideal der Toleranz viel besser als das Königreich Jerusalem – obschon es eine große Hilfe war, dass in Ägypten die Kultur und Sprache auch unter den religiösen Gruppen ähnlich war, und nie ein so krasser Unterschied bestand wie zwischen den Franken und den Muslimen in Jerusalem. Die Toleranz zwischen den religiösen Gruppen manifestierte sich auch dadurch, dass ein Muslim eine Christin und eine Jüdin heiraten konnte - was auch oft passierte. Sogar ein Kalif des Fatimidenreichs - Al-Hakim "der Verrückte" - war der Sohn einer Christin. Umso unverständlicher wirkten dadurch seine späteren Pogrome gegen Christen, die eine komplette Ausnahme in der sonst so toleranten Gesellschaft der Fatimiden darstellten und ihm dadurch seinen Spitznamen einbrachten.

Quellen

  • Joshua Prawer, The Latin Kingdom of Jerusalem: European Colonialism in the Middle Ages. London, 1972.
  • Ronnie Ellenblum, Frankish Rural Settlement in the Latin Kingdom of Jerusalem (Cambridge University Press, 1998)
  • Abdullah Mohammad Sindi, „The Cannibalism and Bloodbaths of the Crusades“, http://www.radioislam.org/sindi/croisades.htm
  • René Grousset, „Histoire des Croisades et du royaume franc de Jérusalem”, Paris, 1934.